p l a s t i c   i n di a n e r

 

GIVE US JUST A LITTLE MORE TIME1)

Phil Lucas, Native Director - Ein Interview


1) Songtitel der indianischen Rockgruppe REDBONE Ende der 60er Jahre
Interview mit dem indianischen Filmemacher Phil Lucas (P.L.), das Bernhard und Karin Springer (B.S. + K.S.) 1995 an seinem damaligen Wohnsitz bei Santa Fé führten.2)
 
2) zuerst veröffentlicht in: Bernhard Springer, Matthias Peipp: EDLE WILDE - ROTE TEUFEL, München 1997, S. 265-280, Übersetzung vom Amerikanischen ins Deutsche von Ulla Rapp. Phil Lucas, geb. 1942 in Phoenix, Arizona verstarb überraschend 2007.

B.S.: Zu Anfang von IMAGES OF INDIANS3) ist eine beeindruckende Szene zu sehen, in der Indianerkinder gebannt auf den Fernseher in der Küche starren. Im Programm läuft ein Western, bei dem die Indianer reihenweise als rote Teufel aus dem Sattel geschoßen werden und die guten Cowboys siegreich nach Hause reiten. Ist das nicht eine merkwürdige Erfahrung, die die Kinder als Nachfahren eben jener Wilden dabei machen müssen?

3) fünfteilige TV-Serie, die Phil Lucas 1979-1981 zusammen mit Will Sampson über die stereotypen Indianerbilder in den Western Hollywoods produzierte

P.L.: Das kann man wohl sagen. Übrigens ist IMAGES OF INDIANS an diesem Punkt ganz autobiografisch. Die Sache mit dem Küchenstuhl ist mir als Kind tatsächlich so passiert. Aber wir hatten auch Kino damals. Als ich noch sehr klein war gab es nachmittags immer Filme zu sehen. Ich war etwa 12 Jahre alt, als ich dort STAGECOACH sah und die Cowboys bejubelte. Den Weg nach Hause mußte ich zu Fuß zurücklegen, ungefähr 10 Meilen, und dabei wurde ich sehr wütend über meine Reaktion während des Films. Ich fühlte mich manipuliert. Damals begann ich mich dafür zu interessieren, was Filme eigentlich machen oder auslösen können und wie man mit dieser Macht über Menschen umgeht. Als ich die Highschool verließ, war mir klar, daß ich Filme machen wollte. Gleich nach der Schule, arbeitete ich für etwa sieben Jahre an einer Serie fürs Public Television. Ich schrieb das Buch, wo die Kinder STAGECOACH im Fernsehen sahen und das ist mir wie gesagt persönlich passiert. Ich zeigte, daß so etwas tatsächlich geschieht. Und weil es ein elektronisches Medium ist, wird geglaubt, was gezeigt wird. Die überlieferte Geschichtsschreibung ist übermächtig, das Sterotyp gilt als real und äußerst problematisch. Das Klischee begann schließlich damit, daß Kolumbus unser Volk 'Indigenous Indians' genannt hatte. Für viele hunderte verschiedener Völkergruppen nur eine Kategorie. Das war der Anfang der Stereotyps, der Anfang des Klischees. Auch die ersten Bildermaler kreierten zwangsläufig ein falsches Bild. Z.B. gab es einen holländischen Maler und Illustrator, De Bry, der war einer der ersten, der auf Holzschnitten Indianer als Kannibalen darstellte. Das lag daran, daß er seinen Auftrag von den Spaniern bekommen hatte. Und das spanische Gesetz schrieb vor, daß bei fremden Völkern, sobald sie sich als Kannibalen herausstellten, die Entdecker das Recht hatten, ihnen alles wegnehmen und sie zu Sklaven machen zu können, und das war dann ganz legal. So begannen sie mit dem Prozess der Falschinformation, mit dem Prozess, ein falsches Bild zu kreieren, damit sie das Land in Besitz nehmen und die Menschen versklaven konnten. Darum wurden diese ersten Bilder gemacht, nur um eine legale Basis für ihr Vorgehen zu haben. Und das setzte sich buchstäblich fort. Es ist sehr schwer, diese Muster rückgängig zu machen oder umzudrehen, denn solange die Menschen glauben, daß die Indianer Wilde seien, daß sie keine Wissenschaft, keine Religion, keine Kultur hätten, daß sie einfach keine richtigen Menschen seien, war es völlig in Ordnung, ihnen das Land wegzunehmen, und all das zu tun, was sie dann taten. Es rechtfertigte die Situation der Europäer, als sie ankamen und rechtfertigte das, was sie taten. Und niemand will das ändern. Wenn sie dieses Image ändern wollen oder die Realität anerkennen, dann müssten sie sich ja damit auseinandersetzen, was in der Vergangenheit geschehen ist, und das will niemand wirklich tun.


Regisseur PHIL LUCAS (Coctaw)
(1942 - 2007)

 

 

 

 

B.S.: Bevor wir hierher kamen, haben wir einiges gesehen. Dabei konnten wir feststellen, daß die National Monuments wie Canyon de Chelly, aber auch die Ruins der Anasazi gut besucht, wenn nicht überfüllt waren, aber in den Reservationen, also bei den lebenden Indianern, trafen wir kaum einen Touristen an - die zogen anscheinend die toten Anasazi vor.

 

P.L.: Interessant ist, daß es die Anasazi heute noch gibt, daß sie überlebt haben, nur nennt man sie heute die Pueblo People. Das sind die gleichen Leute. Das ist die Realität. Die Mär vom großen Geheimnis um die verschwundenen Anasazis ist einfach ein Teil des Images, ein Teil des Klischees. Das hält davon ab, die Realität zu sehen. Damit hält sich der amerikanische Mythos selbst am Leben. In den vergangenen zehn Jahren habe ich um die 45 Filme gemacht, und ich bin hauptsächlich darum bemüht, dies zu ändern, um ein mehr realistischeres Bild zu zeichnen. Nicht ein romantisches Bild, das ist genauso blödsinnig wie das andere. Wenn Sie den Teil meiner Serie IMAGES OF INDIANS sehen, den wir in Deutschland gedreht haben, werden Sie verstehen, was ich meine.

 
B.S.: Was geschah, als Sie in Deutschland drehten?  
P.L.: Mein Freund, der Filmemacher George Burdeau, erzählte mir einmal, was ihm widerfuhr, als er im Jahre 1976 oder 1977 in Deutschland stationiert war. Als er eines Tages auf der Autobahn fuhr, sah er plötzlich am Rande Tipis stehen und sagte sich: "Was ist denn hier los?". Er fuhr also von der Autobahn herunter, hinüber zu den Tipis und traf dort auf Deutsche, die sich mit Perücken wie Indianer verkleidet hatten. Und er fand das sehr interessant. Ich selbst dachte mir, daß wir in der Serie IMAGES OF INDIANS zeigen könnten, daß in Deutschland auch das Klischee aus den Filmen besteht, aber die Wirklichkeit etwas anders aussieht. So fuhren wir nach Deutschland und fanden eine Gruppe in Köln, einen indianischer Freundschaftsklub, der den Yakima-Stamm adoptiert hatte. Wir fanden heraus, daß sie einige Zeit mit den Yakimafamilien verbracht hatten und daß sie alle zwei Jahre herüberkommen. Dabei hatten sie ihre Tänze und Lieder gelernt, alles sehr authentisch, wie im Jahre 1840. Diese Epoche gefiel ihnen besonders, insbesondere was die Kleidung betraf. Wir gingen also zu ihrem Clubhaus, das war, als ginge man ins Museum. Sehr beieindruckend. Sie hatten alles selbst gemacht. Der Mann im Museum erzählte uns seine Geschichte, wie er als kleiner Junge einen Traum gehabt hatte, in dem ein alter Medizinmann ihm sagte, wie er alles malen sollte, und so machte er es. Er hatte sich seine Trommel auch von einem Modoc-Medizinmann weihen lassen, der ihn einmal besuchte hatte. Damit fing unser Dilemma an. Dieser Deutsche veranstaltete, als wir bei ihm waren, eine Drum Blessing Ceremony und er sagt, daß dies eine heilige Zeremonie sei: "Da können Sie nicht filmen." Das war für uns sehr komisch, als Indianer, weil daß das ist, was man normalerweise bei uns zu hören bekommt. Aber was uns wirklich beeindruckte, war ihre Aufrichtigkeit. Dann ging ich zu Will Samson, meinem Koproduzenten, und sagte, laß uns das aufnehmen. Was wir ausdrücken wollten, war: Um wirkliche Anerkennung für Indianers zu finden, muß man nach Europa reisen. Es war wirklich sehr schön, denn sie zeigten wirkliches Verständnis und ich war sehr beeindruckt. Ich weiß, daß nicht alle so sind, doch diese Gruppe war es. Das haben wir gefilmt. Ich bin nicht sehr vertraut mit den Werken von Karl May und ähnlichem. Das ist jetzt nicht unbedingt schlecht, ich finde es von Interesse. Und man wollte mehr über die indianische Kultur wissen, von einem Punkt der Wahrheit aus gesehen. Ich muß sagen, unsere Erfahrungen in Deutschland waren sehr positiv.

 


Regisseur GEORGE BURDEAU (Blackfeet)

 

 

 

 

 

 

 

B.S.: Vielleicht liegt das andere Interesse in Deutschland auch in der Sehnsucht nach den eigenen alten Stammeswurzeln begründet. Manchmal habe ich den Eindruck, daß die typisch deutsche Vereinsmeierei oder die Stammtischrituale Relikte alter Stammeskultur sind.  
P.L.: Ich glaube, das ist die Wahrheit. Wir sind alle Stammesvölker, wenn wir weit genug zurückgehen. Die Kelten, die Germanen oder wie all diese Stämme heißen - alle europäischen Völker waren Stammesvölker. Und ich glaube, daß wir diese Erinnerungen in uns tragen, diese Verbindung mit der Erde. Wenn also die Menschen mit Indianern in Kontakt kommen, stellen sie eigentlich nur diese Verbindung wieder her. Dann wollen sie Indianer werden, und sie realisieren nicht, daß das, an was sie tatsächlich angeschlossen sind, ihre eigene Vergangenheit ist, ihre eigene Stammesvergangenheit. Und was wir tun müssen, glaube ich, ist zurückgehen und entdecken, was diese Stammeswurzeln sind, und das dann leben. Denn wir sind alle Teil der Erde, wir sind alle Erdenstämme. Und dann gibt es auch einen 'common ground', eine gemeinsame Basis, ein wirkliches Verstehen.

Indianerclub Ost: Kulturgruppe Indianistik "Old Manitou", Radebeul (DDR)
K.S.: Genau das ist gerade Teil der esoterischen Bewegung bei uns. Da werden Seminare mit nordamerikanischen Medizinmännern abgehalten, Trommelkurse, schamanistische Heilungszeremonien in den Alpen und so fort.  
P.L. Aber sie können es tun, jeder kann es tun. Diese Dinge gingen halt verloren. Zur Zeit ist es mal wieder große Mode, eine fixe Idee. Das geschieht ungefähr alle 20 Jahre, das geht in Zyklen. Wir lassen uns davon weiter nicht stören. Wir tun einfach, was wir tun. Doch ich finde, wir sollten die Gunst der Stunde nutzen. Die Türen für ein solches Bewußtsein sind offen, durch DANCES WITH WOLVES und solche Dinge, weil sie kommerziell erfolgreich sind, viel, viel Geld bringen. Deshalb zeigen alle jetzt ein Interesse. Man sollte sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Geld der Auslöser ist und deshalb vielleicht nicht viele wirkliche Resultate erzielt werden können. Aber wir erhalten jetzt viele Gelegenheiten, und wir müssen diese Gelegenheiten nützen. Es wird sie nicht immer geben. Und wenn es sie nicht mehr gibt, tun wir weiterhin, was wir immer tun.  
B.S.: DANCES WITH WOLVES hat die Türen geöffnet. Was halten Sie dann von Filmen wie CLEARCUT oder BLACK ROBE, die ja auch von diesem Push profitieren?  
P.L.: Ich finde, die fallen unter die Kategorie "Exploitation Movie". Mir gefiel CLEARCUT nicht. Ich meine, daß sie dabei immer noch den anderen Weg genommen haben. Es ist immer noch keine wirkliche indianische Story. Natürlich ist auch DANCES WITH WOLVES keine Indianergeschichte. Keine von ihnen ist es wirklich. Dafür sind sie einfach aus einer anderen Perspektive gemacht. Ich weiß nicht, wie schwer es sein wird, wirkliche Indianergeschichten zu machen. Schauen Sie sich einmal zum Vergleich an, was mit den schwarzen Filmen und mit den schwarzen Filmemachern geschah. In den 20er und 30iger Jahren machten sie diese stereotypen Filme mit Schwarzen wie Stepn Fetchit und - wie heißt der Typ nochmals der BLACK FANCE gemacht hat - Al Jolson. Danach kamen die Black Exploitation Filme wie SHAFT usw., und danach kamen die Schwarzen ins Fernsehen, als Sitcoms. Das muß man sich einmal vorstellen: 20 Jahre von Sitcoms, in denen Schwarze in jedermanns Wohnzimmer auf dem Bildschirm zu sehen waren. So lernte man sie als Menschen kennen. Ungeachtet dessen, ob sie nur weiße Schwarze waren, das war nicht wichtig. Der Punkt war, man sah schwarze Gesichter, man sah sie als menschliche Wesen agieren, es war lustig, man amüsierte sich, jeden Abend, auf dem Bildschirm.  
B.S.: ... wie bei der BILL COSBY SHOW ...  
P.L.: Genau. Dann tauchte Spike Lee auf, und machte schwarze Filme. Er konnte das tun, weil während dieser zwanzig Jahre ein Publikum dafür herangewachsen war. Mit den Indianern verhält es sich ganz anders. Hier gab es nur die vielen stereotypen Filme, dann gab es die Exploitation Filme, wie BILLY JACK und SOLDIER BLUE und solche Filme. Und jetzt kommt eine neue Runde von Filmen wie DANCES WITH WOLVES, der einfach ein guter Film ist. Und der löst wieder eine Welle von Exploitation-Filmen aus. Doch während dieser ganzen Zeit gab es keine Indianer im Fernsehen. Alles, was im Fernsehen zu sehen ist, sind einzig die alten Wiederholungen der stereotypen Filme. Also wird dieses stereotype Bild fortgesetzt, und die Kinder von heute sehen im Fernsehen täglich das, was vor 20 Jahren entstanden ist. Wir haben nicht diese Zeitspanne, in der das amerikanische Publikum die Chance bekommen hätte, die Indianer als Menschen zu sehen. Das ist der große Unterschied und deswegen ist es sehr schwer für einen indianischen Filmemacher, der versucht Filme aus indianischer Sicht zu machen, denn es wird nicht akzeptiert. Und es wird nicht akzeptiert, weil das Publikum meint, schon alles über die Indianer zu wissen, doch was es weiß, ist klischeehaft.  
K.S.: Gibt es denn viele indianische Filmemacher?  
P.L.: Die indianischen Filmemacher werden jetzt immer mehr. Als ich anfing waren wir zu viert: George Burdeau und ich, Gary Robinson und Alanis Obomsawin in Kanada. Wir haben beinahe 25 Jahre lang gearbeitet. Heute gibt es um die 60 indianische Filmemacher mit unterschiedlichen Ebenen von Fachwissen in Video und Film. Die meisten der Indianer arbeiten mit Video. Die meisten Projekte, in die wir involviert sind, haben keine Budgets, die für Film ausreichen würden. Es ist immer wieder Video.  
B.S.: Ist Video aber nicht auch ein gutes Mittel, um die alten Traditionen zu dokumentieren und zu bewahren?  
P.L.: Ich weiß nicht, ob die jungen indianischen Filmemacher so sehr bemüht sind, die Traditionen zu zeigen. Sie sind hauptsächlich damit beschäftigt, sich selbst zu bilden. Sie konservieren auf Video die Stammesältesten, Hausangelegenheiten, sie machen nicht unbedingt wichtige Programme. Zudem gibt es noch nicht die Akzeptanz von indianischen Produkten. Das Gespür für Film ist für die meisten sehr verschieden und für ein nichtindianisches Publikum nur schwer zugänglich. Wir machen es einfach anders. Das Inuit-Fernsehen IBC (Inuit Broadcasting Corporation) ist ein gutes Beispiel dafür. Die machen einige ganz wundervolle Sendungen.  
B.S.: Aber der nächste Schritt wären jetzt Spielfilme?  
P.L.: Ich weiß nicht. Ich glaube, daß es einige gibt, die Spielfilme machen möchten. Ich werde an einigen Projekten mitarbeiten. Jedoch ist das nicht mein Ziel. Ich arbeite hauptsächlich auf dem Nonfiction-Gebiet. Es gibt auch andere, die so arbeiten. Und ich finde auch, daß es wichtig ist, daß sie das weiter tun. Denn niemand sonst kann das tun, was wir tun. Die Ziele sind eben auch sehr unterschiedlich.  
B.S.: Übrigens wurde ihr Film HONOR OF ALL auch bei den Jicarilla-Apache, die wir besuchten, gezeigt. Wir hatten danach gefragt und sie konnten sich noch gut daran erinnern. HONOR OF ALL scheint ja ein richtiger Blockbuster in den Reservationen zu sein.  
P.L.: Ja, das stimmt, ich weiß nicht, in wie vielen Reservationen er inzwischen zu sehen war.  
B.S.: Ich würde gern noch einmal auf IMAGES OF INDIANS zurückkommen. Darin geht es ja vorallem um das Bild der Native Americans im Western. Allgemein wird ja mit BROKEN ARROW eine Wende angenommen, und in den 70ern gab es dann mit LITTLE BIG MAN, SOLDIER BLUE und Altmans BUFFALO BILL die ersten Indianerfilme ...  
P.L.: Das sind alles Exploitation-Filme. Es sollten Pro-Indianer Filme sein, aber sie waren es nicht. Im Endeffekt ging es um Vietnam, ging es um politische Aussagen. Die Indianer wurden wieder einmal nur benutzt als ein Mittel, gegen den Krieg zu sein, gegen was weiß ich. Sie waren Teil einer politischen Agenda. Das stand im Vordergrund. Bei SOLDIER BLUE z.B. ist die einzige Rechtfertigung für das Blutvergießen und die brutale Gewalt an den Indianern, daß der Film damit beginnt, wie Indianer Weiße umbringen. Danach ist alles, was sie mit den Indianern machen okay. Es ist wie mit SON OF THE MORNING STAR (1991), einer Miniserieüber Custer. Wenn Custer das erste Mal zu sehen ist, ist er tot, sein Pferd liegt daneben, sein Körper ist quer dagegen gelehnt, seine Beine sind überkreuzt, sein Bart, seine langen Haare umrahmen malerisch sein Gesicht. Das ist das Bild vom gekreuzigten Christus. Das ist ein so archetypisches Bild und so stark, daß, egal, was man danach über Custer sieht, schon alles damit gesagt ist - mit diesem Bild des gekreuzigten Christus. Es sind diese Dinge der Filmemacher, die mich wahnsinnig machen. Die Bedeutung von dem was sie sagen, das sie tun, ist etwas gänzlich anderes als das, was sie wirklich zeigen. Diese kleinen Botschaften, die transportiert werden. Das sind wirklich reine Exploitation Filme.  
B.S: Warum ist ihrer Meinung nach DANCES WITH WOLVES so wichtig für die weitere Entwicklung?  
P.L.: Mir gefällt DANCES WITH WOLVES wirklich sehr. Da gibt es das stereotype Bild dieser Figur, des Soldaten, der aus dem Bürgerkrieg kommt, er ist wirklich liebenswert, und er ist eine Art Wichtigtuer, er ist auf jeden Fall nicht perfekt. Und er hat das Klischee des Indianers verinnerlicht, und als Ergebnis dessen kann das Publikum mit seinen Augen sehen, und als er sich ändert, als die Indianer zu seiner Familie werden, werden sie so auch zur Familie des Publikums. Als er um das Feuer tanzt, ist das der Wendepunkt des Films. Wenn sie merken, was mit den Indianern geschieht, ist das weiße Publikum überwältigt. In diesem Sinne ist es ein sehr wichtiger Film. Er verändert das Klischee. Meistens aber tun sie das eben nicht. Sie zeigen das Klischee, ohne es anzusprechen. DANCES WITH WOLVES zeigt das Klischee, spricht es an und verändert es. Deswegen ist er so wichtig. Es gibt ganz wenige Filme wie diesen.  
B.S.: ...und was ist mit WINDWALKER?  
P.L.: WINDWALKER ja, aber der macht es auch nicht richtig. WINDWALKER hat viel zu viele Fehler. Da ist z.B. dieser Kerl, der Feind, der die beiden Kinder stiehlt, der altert überhaupt nicht. Alle werden älter, aber dieser Typ bleibt immer gleich alt, und am Ende des Films ist er der starke Typ und ist immer noch gleich alt. Oder wie der Großvater den angreifenden Bär tötet, und dann läuft er mit dessen sauber abgezogenen Fell herum. Dieser Film ist absurd. Ausserdem war alles zu romantisch, vielleicht ist es okay für die Cheyenne, doch wenn man dem feindlichen Stamm angehört, den Crow, dann ist das Ganze nicht so lustig. Es ist wohl kein so guter Film. Es gab einfach zu viele Probleme. Auch haßte ich den Gedanken, daß ein Engländer, Trevor Howard, die Rolle von Windwalker spielte.
B.S.: Für uns in Deutschland war WINDWALKER in den 80er Jahren eine wichtige Erfahrung...  
P.L.: Er hatte durchaus viele gute Dinge, er hatte halt nur zu viele Fehler. So kann es ruhig einen Konflikt zwischen zwei Stämmen geben, aber man zeigt nicht warum. Wieder einmal gibt es einen bevorzugten Feind, wieder einmal ist es ein eindimensionaler Feind. Es gibt kein wirkliches Verständis für das Warum - warum sie tun, was sie tun, was sie dazu motivierte. Niemand weiß es. Sie sind einfach Wilde, und das ist der Grund, warum sie tun, was sie tun. Das ist das, was herüberkommt - es ist einfach die Natur dieser Wilden. Und das bestätigt wieder einmal nur das Klischee. Kein Verständnis dafür, daß vielleicht der Gund dafür, daß es einen Konflikt gab, darin lag, daß der eine Stamm zu dem anderen Stamm von dem ankommenden weiße Mann getrieben wurden, der sie eben von ihrem angestammten Platz vertrieb und sie mitten in einen anderen Stamm hineinversetzte, was wiederum zum Konflikt führen mußte, was ihr Gefühl für Grenzen total zerstörte, ihr Gefühl wer sie waren und wie sie lebten. Solche Konflikte sind natürlich entstanden, aber man versteht es nicht. Dann die Sache mit dem Kidnapping. Das war so etwas wie Pferdestehlen. Sie taten das, um Frauen und Ehemänner zu finden, denn sie wußten, daß es Hochzeiten zwischen den Stämmen geben mußte, um ihren Genepool virulent zu halten, zu stärken. Dazu holten sie Männer und Frauen in den Stamm, um mit ihnen Kinder zu zeugen. Wenn sie einen Mann gefangen hatten und eine Frau des Stammes schwanger wurde, war er frei, zu bleiben oder zu gehen. Das gleiche geschah mit den gefangenen Frauen. Wenn das Baby geboren war, konnte sie gehen oder bleiben. Wenn sie blieben, egal ob Mann oder Frau, wurden sie vom Stamm adoptiert. Das war eine Art die "Intermarriage" zu sichern. Das war allgemeine Praxis, darüber hat man sich nicht aufgeregt. Eine wirklich andere Art, die Sache zu betrachten, ein sehr andere Art von Lifestyle.


Indianerromantik - WINDWALKER (1980)

 

 

 

B.S.: Ein anderer Punkt ist die Darstellung von Gewalt. Gerade auch romantisierende Indianerfreunde kommen mit der Gewaltdarstellung in Konflikt, weil sie behaupten, die Indianer seien friedlich, Gewalt sei keine indianische Sache ...  
P.L.: Ich glaube, das ist wahr. Es ist immer wieder die gleiche Situation, daß wir als Indianer auf jemand reagieren müssen, der uns benutzt, um ein Statement zu machen, oder sonst etwas. Das ist auch mein Einwand gegen diese Art von Filmen, weil ich denke, daß sie uns benutzen, um ein Statement zu machen, und nicht weil sie sich wirklich für die Indianer interessieren. Man kann nicht ganz viel Gewalt zeigen und gegen Gewalt sein. Dann wird es Exploitation, Ausbeutung. Es ist wie mit einem Film über Pornografie, der selbst pornografisch ist. Er spricht nicht wirklich die Probleme an, sucht keinen Zugung zu den Dingen, sondern beutet sie nur aus. Dagegen bin ich, das ist echte Exploitation. Ich weiß nicht, ob dies irgend jemand hilft.  
B.S.: ... die Einteilung in gute Indianer und schlechte Indianer ist auch ein typisches Merkmal von Filmen, die in diese Kategorie fallen ...  
P.L.: Ja, die guten Indianer sind die, die den Weißen helfen, und die schlechten Indianer sind die, die für ihre Heimat kämpfen. So ist es tatsächlich, und so wurde es auch vom amerikanischen Kongress festgeschrieben. Es ist dasselbe wie mit der amerikanischen Geschichtsschreibung in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg. Es ist vollkommen verschieden von der Vergangenheit, von dem Lauf der Geschichte, von der Geschichtsschreibung, die festgehalten hat, wie es war. Alles hat zu tun mit einer Form von "Dehumanizing", Entmenschlichung. Denn wenn man sagt, das sind gar keine wirklichen Menschen, es sind Betrüger, Schurken, böse Wilden und alle diese Namen, die man finden kann, um sie zu entmenschlichen, dann sind sie Tiere, und dann kann man sie auch als solche behandeln.  
B.S.: Der letzte Film, der hier auf meiner Liste steht ist THE LAST MOHICANS von Michael Mann ...  
P.L.: Ich will den Film gar nicht sehen. Das ist die schlimmste Geschichte, die man überhaupt wieder ausgraben konnte - speziell für die Mohikaner, die noch leben. Die ganze Geschichte, daß es einen Letzten geben kann, ist einfach lächerlich, insbesondere wenn man bedenkt, daß die Mohikaner noch existieren. Die Versprechen als solche sind schon schlecht. Man kann auch von Michael Mann nichts Gutes über die Indianer erwarten.  
B.S.: Der gute Indianer wird auf den Sockel oder ins Museum gestellt, damit die bösen Indianer besser abgeschlachtet oder in Reservate gesteckt werden können ...  
P.L.: Hitler benutzte Jacksons4) Verhalten gegenüber den Indianern als Vorbild für seine Konzentrationslager. Die Menschen gegeneinander aufzubringen, sie dazu zu bringen, sich gegeneinander zu wenden, das war das Modell jener Tage. Bitte, wo geht es hier zur nächsten Schlacht? Auf der einen Seite Interesse aufzubringen, auf der anderen Seite wegzugucken, wenn es einem nicht paßt - das ist für mich sehr beängstigend, das zu sehen. So gelangte Hitler an die Macht. Genauso ist das Verhalten alle Menschen, die Uniformen tragen: Sie schätzen ihren Gegner, sie lieben, was sie töten, aber nachdem sie die Menschen getötet haben, was nützt das dann noch?

4) General Andrew Jackson, Indianerhasser und gnadenloser Verfolger der fünf ziviliserten Nationen des Südostens (Cherokee, Chickasaw, Choctaw, Creek und Seminolen), der nur die Alternative von Vertreibung oder Ausrottung akzeptierte, wurde 1829 Präsident der Vereinigen Staaten und sprach mit seinem Removal Act oder Indianervertreibungsgesetz von 1930 den Indianern jegliches Recht auf Besitz, Wohnung und Leben auf dem damaligen Territorium der USA ab. Dieses Gesetz wurde vom Bundesgericht als nicht verfassungskonform verworfen, was Jackson aber ignorierte. Staatdessen wurde sämtlicher Besitz der Indianer eingezogen, und sie selbst in das Präriegebiet jenseits des Missouri vertrieben. Doch bevor das Gesetz in Kraft trat, waren die "ewige Indianergrenze" und das "Indianer-Territorium" Oklahoma bereits wieder von Siedlern überflutet.

B.S.: Kehren wir in die Gegenwart zurück - wie verhält sich die indianische Kultur zu dem technologischen Medium Film oder Video?  
P.L.: Ich finde, daß Film eine Erweiterung unserer Kultur ist. Ich denke unsere Kultur ist eine "Show-Culture", bei uns ist es wichtig, zu zeigen. Wir besitzen eine lange Tradition des Theaters in der indianischen Kultur. Theater, Geschichten erzählen und Bildergeschichten: all das ist Tausende von Jahren alt. Film ist nur eine Technologie, durch die uns die anderen sehen können. Es ist sehr natürlich.  
K.S.: Auf dem Weg hierher wurden wir bei den Jicarillia-Apaches zu einer Initiationsfeier eingeladen. Natürlich mußten wir dem Zeremonienzelt fernbleiben und der Vater des Mädchens, das initiiert wurde, machte uns noch einmal auf das Fotografie- und Aufnahmeverbot aufmerksam. Er erzählte von einem Franzosen, der sich nicht daran gehalten hatte, und sagte: "We cut him out!"  
P.L.: Das betrifft die Zeremonien. Das ist etwas anderes. Weil es nicht nur auf eine Art gemacht werden kann, nicht nur eine richtige Art gibt. Wenn eine Zeremonie stattfindet, dann ist dies nur für die Menschen bestimmt und richtig, die in diesem Moment dort sind. In einem anderen Zusamenhang hat sie einfach keine Bedeutung, keinen Kontext. Und wenn man das filmt und aufbewahrt hat, erhält es ein Eigenleben, das immer weiter geht und weiter gereicht wird, aber keine Realität mehr hat. Und dann wird es zu einem Modell, und die Leute sagen: Aha, so ist es, das ist die und die Art von Zeremonie. Dem ist aber nicht so, dies ist nur zu jenem Zeitpunkt für jene Leute gültig, die dabei waren. Und deshalb will man nicht, daß man es aufnimmt oder filmt oder was auch immer. Die Zeremonien haben keine Realität jenseits des jeweiligen Moments und außer für die anwesenden Menschen. Es ist jedes Mal anders. Deshalb gibt es auch keinen Grund, warum andere Leute das sehen sollten. Aber die Geschichten können gefilmt werden.  
B.S.: Wenn man einen Trip in den Canyon de Chelly hinein machen will, muß man einen Navajo-Führer nehmen, zu deren Reservation der Canyon schließlich gehört, während das Visitor Center oben als National Monument von den Rangers geführt wird - eine obskure Situation. Jedenfalls lästerte unser Navajo-Führer schwer über die Ranger: "Die Ranger erzählen immer dasselbe, Ranger-Stories, beispielsweise den Unsinn über das unerklärliche Verschwinden der Anasazi - das könnt ihr auch in den Büchern nachlesen. Ich aber erzähle euch Navajos-Geschichten, die stehen nirgendwo geschrieben, die könnt ihr nicht nachlesen, die sind nur in meinem Kopf, also hört gut zu!"  
P.L.: Das Problem mit indianischen Kultur ist, daß sie erfahren werden muß. Man lernt sie durch Zuschauen, aber man erfährt nicht die Realitäten des täglichen Lebens.  

K.S.: Glauben Sie, daß indianischen Filmemacher ganz andere Filme machen werden, daß sie auch eine eigene Ästhetik entwickeln, die verschieden ist von der weißer Filmemacher?

 

P.L.: Die Filme werden sehr anders werden, und sie sind es auch jetzt schon. Vielleicht werden Publikum und Filme zu einander finden. Es gibt jetzt eine Zusammenarbeit mit sehr sensiblen, empfindsamen Menschen, die nicht Indianern sind, die jedoch die Filme machen können. Aber wir wollen ihnen nicht sagen, wie man Filme macht. Das gilt auch für mich. Wenn ich in eine andere indianische Gemeinschaft gehe, dann ist dies nicht meine Kultur. Wenn ich hineingehe, bin ich eine Art 'Förderer' für sie, ihre Geschichten zu erzählen. Ich erzähle nicht ihre Geschichten. Sie tun es. Nicht nur die Dialoge, die ich schreibe, auch alles andere stammt von ihnen. Und dies Filme sind voller Kraft, weil sie von ihnen stammen. Ich wurde ein Filmemacher, um ihnen zu helfen, ihre Geschichten zu erzählen, nicht ich erzähle die Geschichten. Das ist, was gerade passiert; es wird etwas ganz Neues sein und könnte sehr powerfull sein.

   
   
       

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